Tag 0: Anreise von Köln nach Olbersdorf

Los geht es am 3.9.2010 mit dem IC von Köln nach Leipzig. Da in den früheren Zügen keine Radstellplätze mehr zu reservieren waren, nehmen wir den Zug, der gegen 9 abfährt und uns dann problemlos bis nach Leipzig bringt. Von dort soll es weitergehen per RE nach Dresden. Leider veranstaltet die Bahn dann allerdings ein Feuer in der Ausfahrt des Leipziger Bahnhofs, so dass "bis auf Weiteres" keine Züge mehr ausfahren können. Lange Schlangen an den uninformierten Infoschaltern, ein Vermerk auf unseren Fahrkarten, aber noch keine gute Idee, wie es weitergehen soll. Da kommt die Idee: Ab Leipzig Thekla fährt ein Zug gen Osten. Dieser Zug würde normalerweise ab Leipzig Hbf. fahren, tut dies aber wegen Bauarbeiten auf der Strecke zwischen Thekla und Hbf. nun gerade nicht. Zum Glück, sonst würde er heute wohl auch nicht fahren können. Bahnreisenden wird empfohlen, mit der Straßenbahn nach Thekla zu gelangen. Mit zwei Reiserädern ist dies eher schwierig und wir sind ja nicht die einzigen, die in die Richtung wollen. Also schwingen wir uns auf unsere vollbepackten Räder und verfolgen die Straßenbahn, hängen sie unterwegs sogar ab und kommen in recht kurzer Zeit bei der Bahn in Thekla an, die auch noch ausreichend Platz für uns und die Räder bietet.

Warten auf dem Bahnhof in CottbusBlick über Zittaus StadtkernDer Regionalexpress bringt uns nun im Norden Sachsens immer weiter gen Osten und endet schließlich im brandenburgischen Cottbus. Von dort wird uns eine Regionalbahn nach Zittau bringen, so hoffen wir. Nach einer Wartezeit von mehr als einer Stunde geht es mit der Bahn dann auch weiter. Die Zugbegleiterin muss uns allerdings auf zwei Dinge aufmerksam machen: Da wir Fahrkarten ausschließlich für Züge der DB haben, müssten wir in der ODEG (Ostdeutsche Eisenbahngesellschaft) eigentlich nachlösen. Da sie unser Problem allerdings erkannt hat, erlässt sie uns dies und lässt uns so mitfahren. Der eigentliche Knackpunkt liegt eh woanders: Der Zug fährt nur bis Görlitz, ab dort sind die Gleise teils vom Augusthochwasser der Neiße bis zur Unbefahrbarkeit zerstört. Schienenersatzverkehr und zwei Reiseräder. Ab da wird es kniffelig. Obwohl wir uns gefreut hatten, per Rad vom Zittauer Bahnhof zu meinen Eltern zu fahren, wird es inzwischen so spät, dass eine Fahrt von Görlitz aus etwas viel gewesen wäre. Ich rufe also meinen Papa an, ob er uns nicht in Görlitz auf dem Bahnhof abholen kann. Eins muss man ja sagen: Der familiäre motorisierte Individualverkehr funktionierte an dem Tag deutlich zuverlässiger als die Bahn...

Zwei Tage gönnen wir uns vor der eigentlichen Radtour bei meinen Eltern, treffen Freunde, schauen uns meine Heimatstadt mal einfach als Touristen an und schwingen uns in einen Hochseilgarten bei Großschönau.

Tag 1: Olbersdorf - Poděbrady

Die Räder scharren schon mit den ReifenAm 6.9. fahren wir dann schließlich los. 100m später die erste Pause: Um sicher zu gehen, holen wir uns in einer DB-Reiseagentur doch schon mal Radreservierungen für die Rückfahrt - nicht dass sie nachher dann schon weg sind. Übers Zittauer Gebirge hinweg hinein nach Tschechien bei herrlichem Wetter durch wunderschöne, hügelige Landschaften, mit Rückenwind und frohem Mut. Südlich Jablonné v Podještědí lässt uns unsere Orientierung kurz im Stich und wir versuchen uns nach der Richtung zu erkundigen. Erstaunlicherweise finden wir einen jungen Herren, der uns im perfekten Englisch weiterhilft. So kommen wir schnell wieder auf unsere Route. In Mimoň versorgen wir uns erst mal mit tschechischen Kronen, Brötchen, Brot und allgemein etwas zu Essen. Bis zur Mittagspause ist es allerdings noch etwas hin. Deswegen fahren wir parallel zur Straße Nr. 268 durch die Wälder gen Südosten. Dort ist es wieder hügelig und es wird kühler. Der Hunger bewegt uns nun trotzdem zur Mittagspause. Und wie wir da so sitzen und uns stärken, bekommen wir die ersten Regentropfen unseres Urlaubs ab.
Danach folgen einige schlechtere Wegstrecken. Es rumpelt viel unter unseren Rädern, der Asphalt ist aufgebrochen. Unterwegs treffen wir dann eine Gruppe von Mountainbikern. Stephie probiert die Kontaktaufnahme mit einer Mischung aus Polnisch, Französisch und Tschechisch und erfährt, dass es sich um einen Lehrer handelt, der mit seinen Schülern im Rahmen des Sportunterrichts unterwegs ist. Die Straße ist hier wieder besser und wir können ziemlich gut mit ihnen mithalten, bis sich unsere Wege trennen. Vorher fragt er uns noch nach unserem heutigen Etappenziel. Bei der Antwort Kutná Hora meint er, dass das noch 80km seien, also nicht direkt um die Ecke... Damit sollte er auch Recht haben, wir hatten allerdings mit dem Schlimmsten gerechnet, da auf der Website des eigentlich anzusteuernden Campings in Poděbrady stand, dass er wegen Renovierungsarbeiten geschlossen sei.
Etwas später fällt Stephie auf, dass die Cleats in ihren Radschuhen locker zu sein scheinen. Eine kurze Kontrolle bestätigt, dass sie bereits eine Schraube verloren hat und das Halteblech einen Riss aufweist. Wir versuchen also einen Radladen zu finden, in dem wir entweder eine Schraube oder im Notfall neue Cleats kaufen können. In Mnichovo Hradiště finden wir sogar ein Shimano Service Center. Leider haben sie einerseits die Schrauben nicht einzeln (verständlich), andererseits aber auch die nach verschiedenen Richtungen auslösenden Cleats nicht. Sie suchen dann eine passende Schraube aus ihrer Werkzeugkiste heraus, womit uns erst einmal geholfen ist. Die Fahrt kann nun also flott weitergehen - und das ist auch nötig. Denn es sind auch nach Poděbrady noch 50km übrig für heute. Super Wetter und tolle LandschaftAber dank Rückenwind, Sonne und der Motivation der frisch Gestarteten gelingt uns das und wir kommen in Poděbrady an. Der ursprünglich ausgesuchte Campingplatz ist tatsächlich wegen Umbauarbeiten geschlossen, aber man kann uns einen anderen empfehlen. Dieser ist einigermaßen flott zu erreichen, auch wenn wir dafür ein Stück zurückfahren müssen. Dort gibt es nun allerdings keine Rezeption, eher rudimentäre Duschen, dafür aber warmes Wasser am Waschbecken der Toiletten. Wir kochen uns noch etwas, es wird kühler und schnell dunkel. Ums Zelt herum den Krams sortieren, dann ab ins Zelt und die Schlafsackwärme genießen. Der erste Tag ist geschafft.

Tag 2: Poděbrady - Jihlava

Kutná HoraSpätsommerliche AlleeDer zweite Tag empfängt uns mit ähnlichem Wetter wie der Vortag. Wir futtern unser Frühstück, versuchen das Zelt zu trocknen (was uns nicht ganz gelingt), schauen noch einmal nach einer Rezeption und rollen schließlich gratis vom ersten Campingplatz. Weiter geht's gen Süden. Unser Ziel für heute soll Jihlava sein. Abgesehen davon, dass es wieder recht weit ist bis dort hin, verläuft der Tag soweit recht nett. Wir haben vor allem kleine Straßen ausgesucht, wenig große. In Kutná Hora machen wir unsere Mittagspause, schlagen uns den Bauch mit Brot, Joghurt, Obst und Gemüse voll und genießen die Sonnenstrahlen des Tages, bevor wir dann durch die Hügellandschaft weiterrollen.
Leider verläuft ein kleiner Abschnitt unserer Route auf einer stärker befahrenen Straße mit allerhand LKW. Das ist zwar deutlich kürzer und etwas weniger hügelig als der Alternativbogen. Allerdings ist unser Tempo wohl nicht ganz kompatibel mit dem der LKW, so dass ich einmal auf der Seitenmarkierung balancierend im gefühlten Millimeterabstand von einem LKW mit ordentlich Geschwindigkeit überholt werde. So etwas ist mir bisher noch nie passiert, aber es schmälert das Vertrauen in die Rucksicht der LKW-Fahrer. Am nächstmöglichen Abzweig fahren wir ab und schauen, wie wir nun auf Parallelstrecken weiter kommen. Die Strecke, die wir finden, ist nett zu fahren. Die zusätzlichen Hügel sind nicht weiter tragisch. In der Ferne hören wir das Dröhnen der LKW auf der Fernstraße. Der inzwischen aufgekommene Gegenwind sorgt nicht gerade für ein schnelles Vorankommen und so wird es auch schon wieder dunkel, als wir uns Jihlava nähern. Immerhin finden wir dann den Campingplatz nach nur kurzem Fragen. Es regnet nun auch mehr oder weniger. Mit etwas mehr Mühe finden wir auch die Rezeption, bei der wir einchecken und tolle Duschmünzen kaufen. Der Platz ist dann an vielen Stellen von den starken Regenfällen der letzten Wochen noch ziemlich ersoffen. Das sieht man aber in der Dunkelheit nicht so deutlich... Wir finden dann dennoch einen halbwegs trockenen Platz und wollen noch duschen vorm Kochen. Die Sanitäranlagen haben den Charme eines Bunkers. Nichts ist super neu, halbwegs gepflegt scheint es zu sein, aber die wenigen anderen Campingplatzbewohner verbreiten in der Dunkelheit mitunter Unheimlichkeit. Nach dem Duschen treffen wir uns wieder am Zelt. Und während Stephie freudestrahlend erzählt, wie gut ihr die warme Dusche getan hat, kann ich ihr - trotz Duschmünze - berichten, wie vitalisierend wechselwarme Duschen sein können, wenn man den warmen Anteil weglässt. Auch das verzweifelte Einschlagen auf den Münzautomaten in der Dusche hat ihn nicht überzeugen können...
Naja, wärme ich mich halt am Essen. Immerhin können die tschechischen Soßen aus'm Glas überzeugen, so dass wir mit wenig Aufwand im Schein der Stirnlampen unser Menü bereitet bekommen. Danach das selbe Ritual wie gestern: Ein wenig aufräumen und ab ins Zelt. Na bitte, wenigstens ist es im Schlafsack warm!

Tag 3: Jihlava - Vémyšlice

Schnecken am Racertje auf dem Camping in JihlavaDer Regen hat unsImmerhin ist es am Morgen so einigermaßen trocken. Aber was uns gestern zum Glück vorm Zeltaufstellen aufgefallen war, kam nun wieder: Schnecken. Gestern hatten wir sie unterm Zelt weitgehend zur Seite geräumt. Das hat geklappt, kein Schneckenschleim am oder im Zelt. Heute Morgen finden wir allerdings in und an den Rädern tolle Schnecken an unterschiedlichsten Orten. Die Räder hatten wir in eine der Umrandungshecken gelümmelt, was den Schnecken offensichtlich ganz gute Aufstiegsmöglichkeiten verschafft hat. Während meine darauf warten, bei der ersten Radumdrehung im Schutzblech zermatscht zu werden, stehen Stephies Exemplare auf Karussel fahren im Ritzelblock. Für die Tierschützer: Wir haben sie alle zerstörungsfrei entfernen können und somit konnte es nun auf die nächste Etappe gehen. Natürlich gab's vorher noch Frühstück und Zeltabbau, aber dann. Über Třebíc soll es in den Süden von Brno gehen. Aber nachdem wir in den vergangenen Tagen ja soweit Glück hatten, lässt uns das Wetter heute total im Stich. Der Gegendwind ist schon sehr zeitig da und bringt mal mehr, mal weniger Regen mit sich. Begeistert von dem Wetter schauen wir uns wenigstens noch ein wenig in Třebíc um. Das jüdische Viertel ist wirklich sehenswert, allerdings sollte man dazu mehr Zeit mitbringen, als wir es gerade tun. Wir wollen ja morgen beim Liegeradtreffen ankommen... Zur Mittagszeit verkriechen wir uns in eine Bushaltestelle und schauen dem Landregen zu, während wir unseren Proviant minimieren. Die Situation sorgt so insgesamt für schlechte Laune und ich merke, dass ich mich an Touren mit Stephie tatsächlich noch gewöhnen muss.
Ein flottes Liegerad hat selbst mit Gepäck noch eine andere Fahrdynamik als ein Reiserad mit allen aktivierten Luftbremsen (Lowridertaschen etc.). Während das Liegerad den Berg heruntersaust, in der nachfolgenden Ebene einigermaßen auf Geschwindigkeit gehalten werden kann, um am Gegenhang mit viel Schwung wieder weit herauf zu kommen, fährt das aufrechte Reiserad erst etwas langsamer den Berg herunter, verlangsamt in der Ebene weiter und schließlich darf man am nächsten Hügel nach den ersten paar Metern mit Restschwung wirklich alles wieder heraufdrücken. Dazu kommt, dass ich in den Abfahrten etwas "waghalsiger" unterwegs bin, was aber bei Regen als Nichtbrillenträger auch wesentlich einfacher ist, als wenn man auf die Sehhilfe angewiesen ist.
Die ganze Sache lässt mich ungerecht werden, weil ich eben weniger flott fahre und damit auch der Fahrspaß nicht so recht aufkommen möchte. Da wir beide schon gemerkt haben, dass das Kilometerschrubben nicht unser gemeinsames Ding ist, steigt mit meinen Erklärungsversuchen natürlich auch Stephies Laune nicht an, weil sie sich für meinen Missmut verantwortlich fühlt.
Wir reißen uns zusammen, fahren weiter und merken, wie wir immer weiter eingeweicht werden. Für heute haben wir keine Lust mehr. Wir suchen nach einer trockenen Unterkunft, nachdem wir unseren Plan zu zelten vor allem mangels eines Campingplatzes aufgegeben haben. Wild zelten bei dem Schietwetter ist blöd, wenn man wirklich nirgends ins Trockene kann. Wir finden schließlich in Vémyšlice ein nettes, kleines Hotel. Ein Sporthotel wohl, mit tollem Ringsrumprogramm, auf das wir verzichten. Wir sind müde und nass. Unsere Räder dürfen wir triefnass durch den Hintereingang in den Keller rollen. Dort hinterlassen sie dreckige Pfützen. Der Chef hilft uns, unsere zahlreichen, ebenso nassen Taschen und Klamotten aufs Zimmer zu schleppen. Der Feuchtraum wird sofort seinem Namen gerecht. Uns fehlt es auch an Ambitionen, mit dem von den Taschen abfallenden Sand jetzt Strandfeeling vor der Dusche zu erzeugen, wir bemühen uns um Schadensbegrenzung, duschen, genießen die Massagestrahlen, die uns in der Dusche ebenfalls entgegenspritzen. Normalerweise hätten wir ja gekocht, aber das wollen wir dem Hotelzimmer dann nicht zumuten. Dafür ist das Hotel zu nett. Zusätzlich zur verschwenderischen Nacht im Hotel wollen wir nun nicht auch noch essen gehen und beschränken uns auf Brot mit Nutella. Dann werfen wir uns aufs Bett zum Entspannen. Nach einer halben bis einer Stunde Schlaf merken wir, dass wir so fertig sind, dass wir uns auch gleich richtig schlafen legen können. Ich schau noch mal im Fernsehen nach dem Wetter für die kommenden Tage. Keine guten Aussichten, aber wohl ausreichend gut. Rückenwind ist jedenfalls aus. Na dann gute Nacht!

Tag 4: Vémyšlice - Nivnice

Geschwungene Hügel östlich von BrnoDas Veloträumchen rolltGut geschlafen haben wir. Das Bett war wirklich nett und wir stolpern herab zum Frühstück, für das der Chef schon wieder auf den Beinen ist. Wir vernichten so ziemlich alles, was er uns bereitgestellt hat, denn wir haben ja noch etwas vor. Heute soll's zum Liegeradtreffen gehen. Angesichts der verbleibenden Strecke war es eine gute Idee zeitig aufzustehen. Auch dass wir kein Zelt abbauen oder gar noch trocknen müssen, kommt uns sehr entgegen. Wir packen die Räder, ölen noch einmal die gestern gut geduschten Ketten und machen uns auf. Südlich Brno fahren wir durch riesige Felder verwelkter Sonnenblumen. Wir queren die Strecke des 24h-Rennens K24 bei Újezd u Brna. Von meinen früheren Fahrten weiß ich, dass es dann eigentlich nicht mehr weit ist, sich aber noch recht stattliche Hügel auf und ab schwingen, bevor man dann wieder in flachere Gegenden kommt. Wir fahren auf einer südlichen Alternativstrecke zur Fernverkehrsstraße. Der Verkehr hält sich in erträglichen Grenzen, immer wieder kommen wir durch nette Ortschaften. So kaufen wir in einem der Dörfer wieder ein und fahren ein paar Orte weiter, um dort an einer netten Stelle eine Mittagspause zu machen. Je näher wir nach Uherský Brod kommen, desto mehr Liegeräder fallen uns auf der Straße oder irgendwo geparkt auf. Alle haben Gepäck dabei. Ein paar Orte vor Uherský Brod begegnen wir dann auch dem roten Azub-Transporter, der mir aufgrund der Nordkapp-Gibraltar-Aktion 2007 gut bekannt ist.
Leider ist der Campingplatz beim Treffen erneut keine Wohlfühloase. Die schönsten Wiesenplätze mit ein bisschen Sonne sind verbotene Zone für Zelte. Supergünstig ist es auch nicht, Toiletten und Duschen gibt es erschreckend wenige angesichts der Zahl der Liegeradler und die Klotür darf man auch selber zuhalten, während man sitzt. Na gut, war ja Absicht, keinen Strandurlaub im n-Sternehotel zu buchen.

Liegeradtreffen Uherský Brod

Parkplatz beim LiegeradtreffenDie Flevo-CliqueDas Liegeradtreffen ist in so fern nett, dass ich Bekannte und Freunde wieder treffe. Stephie kennt einige von ihnen bereits, andere lernt sie neu kennen. Dennoch ist inzwischen viel vom Charme der vorherigen, kleineren Treffen verloren gegangen. So verleben wir das Treffen auch eher im kleineren Kreis. Arne, ein Kommilitone von mir, ist mit meinen Eltern und seinem Rad per Auto angereist. Ihm gehört das zweite Racertje, womit es zum ersten Treffen dieser Räder kommt. Meine Eltern haben neben ihrem Tandem auch Papas Flevobike mitgebracht, womit auch Stephie fürs Liegerad-Event gerüstet ist und ihren Sitzmuskeln vom Aufrechtrad ein paar Tage Ruhe gönnen kann. Die Touren während des Treffens fahren wir also meist in einer lustigen Dreiergruppe aus Flevo-artigen Rädern und haben dabei viel Spaß. Abends kochen wir gemeinsam, laden dazu auch meine Eltern ein, die uns wiederum am letzten Abend ins nahegelegene Restaurant einladen. Für all das würde ich da wieder hinfahren, fürs Liegeradtreffen eher nicht, auch wenn die Ausfahrten durchaus gut waren.

Tag 7: Nivnice - Veřovice

Aufbruch vom LiegeradtreffenDahinsausen über ruhige StraßenSchließlich ist das Liegerad-Wochenende aber vorbei, alle packen ihren Krams zusammen, so auch wir. Wir verabschieden uns von meinen Eltern und Arne, die ungefähr zeitgleich mit uns abfahren. Während sie gen Nordwesten fahren, geht es für uns weiter gen Nordosten. Ab heute steht die Fahrt nach Kraków auf dem Programm. Nun befahre auch ich Neuland, denn so weit östlich hat es mich in Mitteleuropa mit dem Rad auch noch nicht verschlagen. Ein bisschen habe ich Bedenken vorm Radfahren in Polen. Ich kenne das südwestliche Randpolen recht gut, weil es vor meinem Umzug nach Köln ja quasi vor meiner Haustür lag. Horrorvorstellungen von schlechten Straßen, wilden Autofahrern und nicht super zugänglichen Leuten spuken in meinem Kopf herum. Stephie hingegen schwärmt von Krakau und ich kann mir nicht vorstellen, dass sie genau auf die genannten Merkmale steht. Polen ist ein großes Land, das sicher auch viele Unterschiede hat. Also kann es wohl nicht so schlimm sein.
Optimistisch haben wir uns zwei Tage dafür ausgerechnet, laut Google Maps sind es für Fußgänger ja auch "nur" 250km... Am ersten Tag fahren wir durch echt wunderschöne Landschaften. Hügelig und auch wieder mit wärmendem Sonnenschein. Der September ist bei schlechtem Wetter und bei Nacht schon ordentlich kühl. Vor Zlin werden die Hügel höher, wir kriechen langsam empor, bevor wir mit einer zügigen Schussfahrt in die Stadt hineinrollen.
Zlin als Etappenort ist am Sonntag verhältnismäßig ruhig, wenngleich von der Größe und des Erscheinungsbildes der Straßen her für mich eine Reminiszenz an osteuropäische Städte, wie ich mir sie so vorstelle. Aber wir kommen gut hindurch. Kurz vor dem Herausfahren machen wir eine Esspause, lassen das Sonntagsleben der Stadt an uns vorüberziehen, bevor wir dann weiterfahren. Wir wollen die anstehenden Hügel möglichst westlich umfahren, um nicht komplett zu Bergziegen zu mutieren. Das gelingt uns recht gut, verlängert unsere Strecke allerdings auch. Ein paar nervige Abschnitte sind ebenfalls wieder dabei, zumal wir (wieder einmal) Gegenwind haben. Damit kommen wir auch wieder nicht so voran, wie wir uns das ausgerechnet und erhofft hatten. Stephie wird wieder mehr ausgebremst als ich auf dem Liegerad, das geht an die Substanz, physisch wie psychisch. Am späten Nachmittag steigen wir immer mehr in die Beskiden ein. Landschaftlich zumindest ein guter Ausgleich für die Strapazen, die aber dennoch bleiben. Zu allem Überfluss sind sämtliche Campingplätze, die wir uns vorher mal rausgesucht hatten, nicht zu finden. Vielleicht sind sie bereits geschlossen, schlecht ausgeschildert oder schlicht nicht mehr existent. Als wir uns aufgeteilt haben, um den Ort Veřovice genauer abzusuchen, frage ich schließlich eine Frau, die in der eintretenden Abenddämmerung die Dorfstraße entlang läuft. Sie kann ungefähr so viel Deutsch oder Englisch, wie ich Tschechisch kann, aber es gelingt mir, sie nach einem Campingplatz zu fragen. Sie weist auf einen, der 7km entfernt sein soll. Im aktuellen Ort hingegen, soll es keinen geben. Ich fahre zurück zu Stephie, um ihr diese Nachricht zu überbringen. Stephie fühlt keinen Bedarf nach weiteren 7km, wir überlegen, was wir tun. Zufälligerweise geschieht all dies vor dem Grundstück, in das die Dame entschwunden ist, die ich gerade noch befragt hatte. Sie bemerkt unsere Diskussion und holt ihren Mann dazu, der uns fragt, ob wir eine "ubytování" suchen. Nach kurzem Überlegen, was das doch gleich war, sind wir uns einig, dass das "Unterkunft" bedeutet, und bestätigen seine Frage. Wir sollten warten, er begleite uns, 1km. Soso, unsere Spannung steigt. Er holt sein Moped und auf geht's die Straße herauf. Wir biegen rechts in einen kleinen Weg ab, es wird steiler. Den Kilometer haben wir inzwischen locker geknackt. Wir kommen an einer Art Hotel vorbei, mustern es, aber das meint er wohl nicht. Wir fahren weiter. Dann hält er an, steigt vom Moped, verschwindet im Busch. Wir rätseln, ob es sein kann, dass er gerade jetzt, als er uns zur Unterkunft begleiten möchte, mal muss. Ein paar Sekunden später geht die Straßenbeleuchtung rechts an einem unscheinbaren Weg an, er kommt aus dem Busch zurück, steigt auf, winkt uns zu und weiter geht's auf genau diesem Weg den Hügel empor. Es wird noch steiler, der Weg ist teils ein wenig lose, ich fahre flott hinter ihm her, um mit dem Vorderradantrieb nicht zu viel Schwung zu verlieren. Stephie fällt etwas ab, aber ewig weit kann es ja nicht mehr sein. Er macht das Moped aus, von nun an gibt es nur noch das Rauschen des Waldes neben dem Skiheim, dessen Herbergsvater der Mann ist, und vor dem wir nun stehen.
Er lädt uns ein, wir sollten die Räder einfach in den Vorraum unten stellen, zeigt uns Duschen und Toiletten, bevor er uns auf einen Tee in die zugehörige Gaststube bittet. Wir unterhalten uns mit Tschechisch, Polnisch, ein paar Brocken Russisch, was zugegebenermaßen die Menge der Themen etwas beschränkt, aber interessant war es für beide Seiten. Dann zeigt er uns die Skihütten, in denen es warm und trocken ist und angenehme Betten stehen. Ein bisschen Geld will er schon dafür sehen, aber angesichts der Unterkunft ist das vollkommen in Ordnung. Den Schlüssel sollten wir am nächsten Morgen einfach unter die Fußabstreicher legen. Es ist ein schönes Gefühl, wenn man als Radreisende so viel Vertrauen und Gastfreundschaft entgegengebracht bekommt. Von uns hat er keinerlei Namen oder Adressen. Wir kochen uns noch unsere Nudeln, bevor wir müde, aber doch ganz zufrieden ins Bett fallen.

Tag 8: Veřovice - Kraków

Pferde im Nebel von VeřoviceAbenddämmerung in der Pampa weit vor KrakówDer nächste Morgen ist nebelig - sehr nebelig! Wir frühstücken in warmen Klamotten draußen, räumen unseren Krams zusammen, bemühen uns, möglichst wenig Spuren zu hinterlassen und rollen dann den Hügel wieder herab. Da wir uns nicht mit einem nassen Zelt beschäftigen müssen, sind wir bereits kurz vor 8 wieder en route. Der Nebel ist fürs Fahren mit Brille leider recht schlecht, weil man so noch weniger sieht. Ich nehme meine Brille ab (ich brauche sie bei der Helligkeit eh nur des Rückspiegels wegen), Stephie hingegen braucht ihre Brille und muss sie daher öfter abwischen [Stephie meint: So ein Quatsch, soweit ich weiß, ertrage ich Tropfen auf der Brille relativ stoisch.]. Aber der Nebel lichtet sich und es kommt wieder Sonne auf. Wir fahren zur tschechisch-polnischen Grenze, begleitet vom herrlichen Bergpanorama. Die Strecke wurde wohl in den vergangenen Jahren enorm aus-, vor allem aber neugebaut. Wo früher größere Fernstraßen waren, finden sich nun Autobahnen und die Fernstraßen sind zu recht breiten, qualitativ guten Nebenstrecken degradiert worden. Perfekt zum Radfahren also und so kommen wir auch recht gut voran. Wir erreichen zur Mittagszeit Český Těšín und damit die Grenze nach Cieszyn. Polen hat uns und damit auch meine Albträume: Straßen mit Schlaglöchern, in denen man sich verstecken kann und die dazu passende ruppige Fahrweise der Autos. Wir poltern über die Strecken dahin, Stephie verliert eine Flasche aus dem Flaschenhalter, was bis hierher nicht ein einziges Mal passiert ist. Ich hoffe unterdessen, dass nicht irgendwas am Rad nachgibt. Bei der Ausfahrt aus der Stadt halten wir an einer Tankstelle, um nach Kartenmaterial Ausschau zu halten. Im Vorfeld hatten wir nicht all zu viel gefunden. Ernüchternd ist, dass wir auch in der Tankstelle nichts Brauchbares finden. Tja, dann halt die bestmögliche Karte kaufen und sehen, dass wir damit weiter kommen.
Anfangs gibt es nur recht groß erscheinende Straße zur Autobahn nach Skoczów, die wir wenig begeistert entlangfahren. Danach entspannt es sich ein wenig und eine kleinere Straße führt mit brauchbarer Qualität parallel zur E75 entlang. In Skoczów machen wir erneut Pause. Wir brauchen ein bisschen Geld und wollen in Buchläden nach besseren Karten schauen. Aber auch da sieht es nicht umwerfend gut aus.
Ich weiß nicht, was es ist, aber im Vergleich zu Tschechien, was wir erst vor ein paar Stunden verlassen haben, sieht Polen hier lange nicht so einladend aus. Hinter den Gartenzäunen sieht es meist sehr gepflegt aus, aber die gemeinschaftlichen Flächen sind oft genug einfach nur heruntergekommen. Auch die Gesichter strahlen auf den ersten Blick weniger Offenheit und Fröhlichkeit aus als ich es von Tschechien her kenne. Die Plätze sind mit Tauben übersäht, weil die Polen da offensichtlich ganz närrisch drauf sind.
Wir rollen weiter in Richtung Bielsko-Biała. Stephie punktet damit, dass sie all diese Städte wunderbar polnisch aussprechen kann, während ich mir an dem ein oder anderen Ortsnamen einfach nur die Zunge breche. Wir finden anhand kleinerer Karten dann doch noch ein paar nette Strecken, bei denen man nur aufpassen muss, weil der Belag von ganz gut zu recht schlecht mitunter sehr schnell und vor allem auch bergab wechselt. Mit aufmerksamer Fahrweise sind in den Abfahrten dennoch nette Geschwindigkeiten erreichbar.
Einen Nachteil haben die netten Nebenstrecken jedoch: Die Strecke schmilzt weit weniger schnell als uns das recht sein könnte, wenn wir doch heute noch in Kraków ankommen wollen. In Bielsko-Biała verrät uns eine Ausschilderung dann, wie weit es für Autos noch bis Kraków sein soll. Die dreistellige Zahl versetzt uns dann doch in eine gewisse Unruhe. Der Blick auf die Karte zeigt jedoch, dass es sich dabei wahrscheinlich um eine Schnellstraßenverbindung handelt, die dort einen ziemlichen Haken macht. Uns wird dennoch klar, dass wir uns entweder sputen oder nach einer alternativen Übernachtungsmöglichkeit vor Kraków umschauen müssen. In diesem Entscheidungsvakuum taumeln wir so einige Kilometer dahin, bis ich beschließe, dass wir - egal, was jetzt kommen mag - jetzt ordentlich was futtern sollten, damit wir am Ende keinen Hungerast haben. Also halten wir auf einem Marktplatz, holen unser Brot raus und essen ein paar Schokobrote und andere Kleinigkeiten. Nun sind wir zumindest soweit gedopt, dass wir wohl noch einige Kilometer hinbekommen werden. Nachdem ich dann auch unsere Navigation auf den neuen Karten so einigermaßen im Griff habe, läuft es besser und besser. Am nun einsetzenden Abend legt sich auch der Wind soweit, dass er keine Rolle mehr spielt. Wir wundern uns immer wieder mal noch über fehlende Ausschilderungen an Kreuzungen, an denen wir welche erwartet hätten. Ansonsten sind wir jetzt im "Flow". Obwohl wir ja nun schon mehr als 100km für heute in den Beinen haben, beginnen die Räder dahin zu fliegen. Der Eindruck wird um so stärker, als wir im Dunkeln die Tachos nicht mehr ablesen können und im Licht unserer Scheinwerfer die vorbeihuschende Straße eh noch schneller aussieht.
Ein paar knackige Anstiege sind noch dabei, dann kommen wir mit einer fantastischen Abfahrt nach Ryczów an die Weichsel und in ihre Ebene, in der es vor allem noch wellig dahin geht. Für unsere Fähre über den Fluss wird es garantiert zu spät, deswegen haben wir die etwas längere Route über Lacany eingeschlagen, wo wir über ein Wehr die andere Flussseite erreichen. Wenig Verkehr, kleine und verhältnismäßig gute Straßen, Dunkelheit, Nebelbänke und wuuuusch.
Um zu unserem Campingplatz in Smok zu gelangen, müssen wir das Tal allerdings wieder verlassen. Nun merken wir doch, dass wir nicht gerade erst frisch gestartet sind, sondern schon ein paar Kilometer in den Beinen haben. Rauf auf die Straße Nr. 780. Oben angekommen, ist es dort dank der Uhrzeit glücklicherweise auch nicht gerade überfahren (bei Fahrbahnen kann man schlecht von "überlaufen" reden). Und so rollen wir noch einige Kilometer immer weiter in Richtung Kraków, das dann irgendwann endlich durch ein Ortseingangsschild angezeigt wird. Fast geschafft! Unser Campingplatz ist glücklicherweise in den Westausläufern der Stadt, so dass uns eine Durchquerung mitten in der Nacht erspart bleibt. Der Fahrradcomputer zeigt eine Strecke von knapp 200km und eine Uhrzeit, die mit 22 beginnt.
Der Campingplatz ist geöffnet, was aber auch als recht wahrscheinlich galt. Der Nachtwärter lässt uns rein und zeigt uns einen Platz. Auch dort ist noch alles ziemlich nass, wir suchen uns die beste Stelle aus, laden die Räder ab, bauen das Zelt auf, duschen schnellstmöglich, essen etwas und geben uns dann unserer Müdigkeit hin. Geschafft, aber glücklich!

Tag 9: Kraków

Marktplatz von KrakówDie Weichsel in KrakówAm nächsten Tag sind wir dennoch recht früh wieder wach. Heute wollen wir uns ja schließlich Kraków ansehen und in Stephies Erinnerungen an die Stadt schwelgen. Wir nehmen den Bus in die Stadt und Stephie führt mich in "ihrer" Stadt umher, wir probieren die verschiedensten kulinarischen Highlights und entspannen von unserer gestrigen Etappe.
Wichtig für Polen ist auch, dass man zwar relativ große Geldscheine aus dem Automaten bekommt, aber so gut wie jeder Laden, jedes Restaurant und auch sonst eigentlich jeder nichts damit anfangen kann. Eine beinahe normale Handlung ist also die, dass man sein Essen bei einem Imbiss bestellt, die Zubereitung wird angeworfen, bis dahin wird schon mal abgerechnet, man reicht den Schein rüber: Das Gesicht geht von einer gewissen Freundlichkeit über in Schrecken und Verzweiflung und man rennt erst einmal zum Nachbargeschäft um zu fragen, ob die nicht das Geld wechseln können. Stephie hatte mich diesbezüglich schon vorgewarnt und ja, es sollte uns wirklich mehrfach an diesem einen Tag gelingen. Das beweist nur eingechränkt, mit wieviel Geld wir um uns geworfen haben, sondern viel mehr, mit was für kleinen Scheinen das schon ein Problem ist.
Der Marktplatz ist wie auf den Postkarten schön anzusehen. Je mehr man in der Touristenkernzeit unterwegs ist, desto mehr Kutschen fahren dort entlang und um so voller ist es dort natürlich auch. Nicht fehlen darf das Tröten des Turmbläsers, der zu jeder vollen Stunde nach allen vier Richtungen das gleiche Lied herauströtet und im immer selben Takt abbricht. Der Legende nach sollen wilde Krieger mal (wieder) in die Stadt eingefallen sein und dabei mit einem Pfeil den gerade trötenden Tröter getötet haben, weswegen er nicht mehr weiterspielen konnte. Der Abbruch bis heute ist also weniger auf Lustlosigkeit des gerade spielenden Tröters als viel mehr auf diese Sage zurück zu führen - sagt man.
Lustigerweise waren wir vor unserer Abreise in Zittau auf dem Johannisturm, auf dem der Trompeter sogar wohnt. Als Mitglied der Turmbläserzunft konnte er uns aus diesem Themengebiet so einige Sachen erzählen. So auch den Umstand, dass die Krakauer Feuerwehrmänner, die dort tröten, das bezahlt machen und mit dem Lift zu den Fenstern hochfahren. Und während der Zittauer Turmbläser im Freien trompetet, tun die Krakauer dies aus den Turmfenstern heraus, was wesentlich einfacher sein soll.
Auch erstaunlich an Kraków ist die Werbeschildträgerzunft. Es ist begeisternd, mit wie wenig Begeisterung man Werbeschilder in der Fußgängerzone den ganzen Tag halten kann, wie professionell einige darin sind: Sie stehen oder sitzen, lesen Buch oder Zeitung und halten dabei Schilder hoch, von denen ich vergessen habe, wofür sie werben. Wie man sieht, scheint das Konzept aufzugehen.
Krakau nennt sich selbst auch [Stephie: wird auf Schutzblechaufklebern so bezeichnet] Radfahrstadt (miastem rowerów), was durchaus wahr ist, wenn man das Radfahreraufkommen mit dem Umland vergleicht. Zugegeben, niederländische Verhältnisse sind das noch lange nicht und ich vermute, dass es vor allem an den Studenten liegt, aber es ist doch ein gutes Zeichen. Beliebt sind auch niederländische Fahrräder: Das klassische Oma-fiets ist auf Werbeplakaten für neue Fahrradläden zu sehen.
Am Nachmittag trifft Stephie einfach so auf dem Marktplatz eine Mitstudentin, die wohl aus Finnland [Stephie: Lettland war es, glaub ich.] kam und nach ihrem Studienaufenthalt in der Stadt geblieben ist und Stephie erkannt hat. Am Abend kommt es noch zu einem geplanten Treffen mit einer polnischen Freundin von Stephie bei einer Tasse heißer Schokolade. Und nachdem wir am Morgen mit dem Bus in die Stadt gefahren sind und der nächste zurück noch eine Weile auf sich warten lassen würde, beschließen wir, dass wir die paar Kilometer zum Campingplatz zurück laufen. Genug gegessen haben wir heute schon, Kochen ist also unnötig. Und so fallen wir zufrieden über den Tag in unseren Schlafsack.

Tag 10: Kraków - Rybnik

Pause in polnischen WäldernUnd wieder Regen...Der nächste Tag ist der erste Tag unserer Rückreise. Und wie sich das gehört, regnet es heute schon am Morgen.[Stephie: Es war doch nur grauer Himmel. Martin: Ein bisschen Dramatik gemischt mit falscher Erinnerung hat noch nie geschadet!] Wir sind hochmotiviert, zumal wir heute dann wohl ein klatschnasses Zelt einpacken werden. Na gut, sei's drum. Wir fahren wieder die selbe Straße heraus, die wir vorgestern Abend hereingefahren sind. Nun ist Berufsverkehr unterwegs und es ist etwas mehr los. Aber alles in allem werden wir als Radfahrer gut akzeptiert und nicht bösartig überholt. Gegen den Wind schrauben wir uns die Straße herauf. So richtig gute Alternativstrecken gibt es heute irgendwie nicht. Wir sind oft auf größeren Straßen unterwegs, was zwar nervig, aber im Allgemeinen nicht sehr gefährlich ist. Zur Mittagspause machen wir Halt an einer Art Rastplatz mitten im Wald. Außer uns sind dort nicht so viele andere, aber es stehen nette Bänke dort und wir haben etwas Abstand zur Straße. Wir probieren, das Ballungsgebiet vor Gliwice südlich zu umfahren, was einigermaßen funktioniert. Leider bekommen wir am Nachmittag wieder Regen. Wir wissen aber von einem der wenigen Campingplätze dort in der Gegend und wollen da schon gern hin. Im stärker und stärker werdenden Regen fahren wir über verhältnismäßig große Straßen, was angesichts des nun wieder schlechter werdenden Belags nur bedingt lustig ist. Mit jedem überholenden LKW werden wir zusätzlich zum Regen geduscht. Wir nähern uns dennoch unserem Zielort Rybnik, wo schließlich sogar ein Campingplatz-Schild den Weg weist. Und als wir schließlich dort angekommen sind, dürfen wir feststellen, dass er leider geschlossen ist. Wir sind absolut begeistert und schauen uns nach Alternativen um. Das Hotel nahe des Campings erscheint uns dann doch etwas preisintensiv, wenn auch einigermaßen nett. Dennoch, weiter zum nächsten Hotel, da war doch noch eins ausgeschildert... und ja, wir finden es. Das typische Außendienstler-Hotel. Auf dem Hof nur Firmentransporter, Rauchen offensichtlich auf den Zimmern erlaubt und naja, eher so ein spröder Charme. Nach einigem Nachbohren bekommen unsere Räder immerhin einen Platz im Trockenen, nachdem die Mitarbeiterin sagte, wir sollten die Räder im Hof parken, der ja abgeschlossen sei. Nachdem ich einmal um das Gebäude gelaufen war und mich weder die scharfen Wachhunde zerfleischt, noch der Securitymann, der mich auf seiner Überwachungskamera gesehen haben hätte können, rausgeworfen hat, bin ich mir sehr sicher, dass ich mein Rad dort nicht einfach im Hof stehen lassen möchte, und gleichzeitig sehr froh, dass Stephie den Deal mit der Abstellkammer aushandeln kann.
Naja, das Hotel ist günstig, "Rauchen erlaubt" deuten wir so, dass ein bisschen Wasserdampf aus dem Kochtopf auf dem Fensterbrett auch nicht schadet, und so bringen wir die Nacht doch ganz vernünftig rum, am nächsten Morgen gibt's ein Frühstücksbuffet und alles wird gut.

Tag 11: Rybnik - Nysa

Endlich wieder SonneEine Strohschnecke am WegesrandAm nächsten Morgen ist es zumindest erst einmal trocken. Ich möchte fast sogar von gutem Wetter sprechen! Das recht hohe Gebäude des Hotels belohnt uns mit einer sonnigen Aussicht über Teile der Stadt. Wir packen unseren Kram und bringen unser Gepäck herunter zur Rezeption, um dort nach unseren Rädern zu fragen. Uns wird die Tür geöffnet, wir holen die Räder, die dort offensichtlich die Nacht auch ganz passabel rumgebracht haben. Draußen laden wir den ganzen Krams auf, schmieren die regengestressten Ketten noch einmal, ich entferne einen Metallspan, der aus der vorderen Bremse schaut, und los geht's.
Zwar ist es kühl, aber die Sonne scheint wieder. Der Regen vom Vortag wirkt plötzlich weit weg. Na gut, dafür bleibt uns der Gegenwind, der uns nicht gerade sanft um die Nase fegt. Wir kämpfen uns dennoch gen Westen weiter. Auf der Karte haben wir bereits gesehen, dass wir heute ein eher unscheinbares Flüsslein zu überqueren haben. Odra heißt er und ist kein geringerer als die Oder, die weiter nordwestlich die Grenze Polens zu Deutschland bilden wird.
Um nicht zu große Wege fahren zu müssen, wollen wir die Fähre in Ciechowice nutzen, um überzusetzen. Wir finden den Weg dort hin verhältnismäßig leicht. Das Schild zeigt, mit was für einer Riesenfähre wir es zu tun haben werden. Auch die Fährzeiten sind angeschrieben. An der Fähre angekommen schrumpfen die Verhältnisse zusammen: Die Oder ist hier zwar zu groß zum Drüberspringen, die Neiße in Zittau kann da aber locker mithalten. Die Fähre ist an diese Größe angepasst. Und auch der Fahrplan scheint lange nicht so groß, wie man sich das wünschen könnte: Die Fähre liegt fest auf der anderen Seite, ein Hund schaut gelangweilt zu uns herüber, aber weit und breit kein Mensch, der bereit wäre, den Kahn zu uns rüber zu fahren um uns überzusetzen. Was bleibt? Wir dürfen einen nicht gerade kleinen Umweg über Racibórz im Süden fahren. Dort ist die nächste Brücke, davor gibt es nichts. Na gut, nutzen wir es für einen Einkauf im nächsten Dorfsupermarkt (Frustwaffeln im Gegenwind) und fahren wir halt weiter. Die Stadt selber ist dann so ganz gemütlich. Im Zentrum machen wir Mittagspause, genießen die Sonne. Stephie geht noch einmal kurz in einen Supermarkt, um uns für den restlichen und den kommenden Tag nicht verhungern zu lassen. Danach geht's wieder raus aufs Land. Wir kommen nun in Gegenden, denen man ansieht, dass sie irgendwann mal deutsch waren. Teilweise stehen die alten deutschen Namen noch mit an den Ortseingangsschildern. So finden wir auch ein Olbersdorf, was doch ganz witzig ist, wenn man bedenkt, dass dies auch das Endziel unserer Radreise sein wird.
Über viele nette, kleine Straßen fahren wir oft übers Land, hin und wieder durch Dörfchen. Wir wollen nach Nysa, dort soll es einen Campingplatz geben. Wir geben die Hoffnung halt nicht auf. Auf der Straße 407 rollen wir langsam schon wieder in der Abendsonne dahin. Immerhin wird der Wind gegen Abend hin weniger. Unterwegs dann noch eine Baustelle. Wir haben keine Lust auf die Umleitung und probieren, ob wir durch kommen. Obwohl da eine Brücke gebaut wird, klappt das problemlos und auch die Menschen, die wir dort treffen, bestätigen, dass wir da durch kommen und wünschen uns eine gute Weiterfahrt. Ich glaube, wir haben wieder einen gewissen Flow, was sicher auch am guten Wetter liegt.
Mit der schwindenden Sonne schwinden auch die Temperaturen wieder und es wird frischer. In der Stadt angekommen, schauen wir uns nach dem Campingplatz um. Uns ist klar, dass er nicht auf dem Marktplatz sein wird, aber wir wollen schauen, ob es dort irgendwo eine Umgebungskarte gibt. Wir teilen uns zur Suche auf und während ich etwas suchend umherschaue, spricht mich ein Mann an, ob er helfen könne. Schnell bemerkt er, dass ich leider nicht so viel Polnisch verstehe und schaltet in ein ziemlich gutes Deutsch um. Er hatte mal eine Freundin im Ruhrgebiet, daher könne er das ganz gut. Und er fände Radfahren gut, sei aber vor einiger Zeit schwerer gestürzt, weswegen er im Krankenhaus gewesen sei. Aber was noch viel wichtiger ist: Er weiß, wo der Campingplatz ist und - noch besser - er will uns den Weg zeigen.
Wir haben für heute ja erst etwas mehr als 100km in den Beinen, aber er fährt flott vor uns her mit seinem kleinen Auto, achtet darauf, dass wir nicht zu sehr abfallen und dass er dennoch nicht den motorisierten Verkehr behindert, hält immer wieder mal an um zu warten und führt uns schließlich aus der Stadt heraus auf eine kleine Nebenstraße, die uns zum Camping hinführen soll. Mit einem Augenzwinkern weist er uns darauf hin, dass der Radweg, der daneben ausgeschildert ist, eher schlecht sei und dass wir ihn nicht benutzen müssten (auch rechtlich nicht). Der Kerl ist mir sympathisch. Er erklärt uns noch den Weg ein wenig weiter, dann verabschiedet er sich von uns und wir bleiben fasziniert von der Hilfsbereitschaft zurück.
Die kleine Straße ist durchaus nett zu fahren und bringt uns an einen Stausee, an dem der Campingplatz ist. Und in der Tat, dort gibt es allerhand Ferien-Einrichtungen, aber alle sehen sehr, sehr verlassen aus. Ein Jugendlicher, den Stephie nach dem Campingplatz fragt, erzählt, dass es in letzter Zeit viel geregnet hätte und der Platz unbenutzbar sei. Dann kommt der Geschäftssinn durch und er bietet uns an, in die Unterkunft seiner Mutter einzukehren. Er lässt dabei nicht locker, aber wir wollten ja doch eigentlich mal wieder im Zelt schlafen. Also bedanken wir uns für das Angebot und fahren dort hin, wo wir den Campingplatz vermuten.
Weit und breit kein Zelt, kein Wohnwagen, nur Ferienhäuser finden wir in so einer Art Ferienpark. Als wir auf der anderen Seite wieder raus sind, lesen wir auf dem Eingangsschild, dass dies wirklich der Campingplatz sein soll. Sogar eine Rezeption ist in der Karte verzeichnet, die aber geschlossen ist. Wir fragen in dem kleinen Restaurant vorn am Parkplatz nach. Heute sei die Rezeption geschlossen, wir müssten dann halt morgen früh dort hin. Na gut, wir suchen uns jetzt mal in dem Gelände einen Platz, bauen das Zelt auf, freuen uns über die wenigen Laternen, die wenigstens ein bisschen Licht ins Dunkel des ansonsten komplett verlassenen Platzes bringen. Das Sanitärgebäude, das nicht so weit weg ist, ist - wer hätte es erwartet - geschlossen. Auf der Rückseite gibt es immerhin Wasserhähne, so dass wir Wasser zum Kochen und Zähneputzen haben. Für ausgiebige Körperpflege ist es dann doch zu kalt. Am Stausee, an dem wir uns befinden, gehen am Abend noch ein paar Pärchen spazieren, eins davon spaziert per Auto an die "Klippe", wie man sich das halt so vorstellt. Dank mobiler Toiletten hat man wenigstens ein bisschen das Gefühl von Zivilisation. Mit der Kälte der Nacht sind wir nach dem Kochen doch ganz froh, in den Schlafsack krabbeln zu können. Camping scheint im September in Polen kein Volkssport zu sein...

Tag 12: Nysa - Kamienna Góra

Kuh im WegesrandPause unter RegenbogenAuch der nächste Tag wartet mit nettem Wetter auf. Es geht wieder über Landstraßen daher. In Żabkowice Sląskie machen wir Mittagspause und "erfreuen" uns erneut an der Taubenvielfalt, die in polnischen Städten gezüchtet wird. Die "Ratten der Lüfte" hätten am liebsten von unserem Essen etwas ab, ich bemühe mich, meine Beine nicht still zu halten, um die Viecher auf Abstand zu halten. Sehr dankbar sind wir dann der älteren Dame, die mit ihrem Enkel und einer Tüte Taubenfutter daher kommt und die Aufmerksamkeit der Tierchen auf sich zieht. Immer wieder in diesen Situationen geht mir Georg Kreisler nicht aus dem Sinn: "Geh'mer Tauben vergiften im Park...".
Aber auch die Kilopackung hat bei geschätzt locker über 30 Tierchen ihre Grenzen und so wird anschließend auch unser Essen wieder interessant. Fahren wir also besser mal weiter. Die Landschaft wird wieder ein wenig hügeliger und wir schaukeln wenig spektakulär übers Land und durch kleinere Städte. Bielawa und Peszyce heißen zwei davon, die auf dem Weg nach Walbrzych liegen. Da Regen und Kälte uns in den letzten Tagen schon ein bisschen zu schaffen gemacht haben, wollen wir nicht mehr unnötig lange unterwegs sein und bemühen uns auch heute wieder ein paar Kilometer zu schaffen. Leider begehen wir damit auch bezüglich unserer nächsten Unterkunft einen Fehler. Während vor Walbrzych die Landschaft ganz nett ist und einige Unterkünfte etwas Ähnliches wie Schlafen im Stroh anbieten, verändert sich bei der Fahrt durch die Stadt die Aussicht drastisch. Plötzlich sieht es aus, als sei man in der Kulisse eines Geschichtsfilms gelandet: Graue, alte Häuser vermitteln einen morbiden Charme und wir hoffen nur, dass es anschließend wieder besser wird. Das ist leider nur begrenzt der Fall. Zwar hört die Stadt dann irgendwann auch wieder auf und es gibt auch wieder etwas Landschaft. Eher ursprüngliche Übernachtungsmöglichkeiten, ach, was sag ich, überhaupt Übernachtungsmöglichkeiten suchen wir nun aber vergeblich. In Boguszów-Gorce gibt es ein Hotel an der Hauptstraße. Superfreundlich schaut es nicht aus, aber das ist auch schnell egal, weil dort wohl eine Hochzeit stattfinden soll und somit alle Zimmer ausgebucht seien. Also fahren wir weiter.
Es folgen eher kleine Dörfer oder Städte und erst Kamienna Góra sieht dann wieder so aus als könnte es uns eine Unterkunft bieten. Beim Einbiegen in eine Straße treffe ich ein Schlagloch, das das vollbeladene Rad hüpfen lässt, dass mir Angst und Bange wird. Die Tatsache, dass ich weiterfahren kann, zerstreut aber meine Bedenken, dass etwas kaputt gegangen sein könnte. Wir eiern ein wenig durch die Stadt, es ist inzwischen schon ziemlich dunkel. Und schließlich sehen wir ein Hotel-Schild aufleuchten. Den Gedanken an Campingplätze haben wir inzwischen vollkommen begraben. Als wir die Räder vor dem Gebäude mit der Aufschrift abstellen, fällt mir auf, dass meine Sandalen, die ich auf die Packtaschen gelegt hatte, nicht festgebunden waren. Das war so nicht geplant, aber ich staune über die stabile Liegeposition, haben sie doch flotte Abfahrten und einige Schlaglöcher dort drauf liegend überstanden.
Wir klingeln beim Hotel, der Hotelchef spricht auch ein wenig Deutsch, so dass sich ein Mix aus Deutsch und Polnisch ergibt, weil Stephie das natürlich spricht. Das nette kleine Hotel, an dem wir geklingelt hatten, scheint dann nur die Rezeption zu sein. Wir folgen dem Chef über die Straße, wo sich dann ein etwas größeres Gebäude auftut. Auf dem Gelände steht auch ein deutscher Reisebus aus der Hamburger Gegend. Scheint also zumindest nicht die schlechteste Adresse zu sein.
Die Frage, wo die Räder hin können, klärt sich schnell: Sie dürfen in der Empfangshalle stehen. Ich lade das Gepäck von meinem Rad und stelle es hochkant in eine Ecke, was er mit einigen Worten zur deutschen Ingenieurskunst würdigt. Schließlich schleppen wir den ganzen Krams nach oben, der Chef und ein eilig hinzugerufener Mitarbeiter (oder sein Sohn?) helfen uns und speziell Stephie als Dame wird nach polnischer Manier möglichst weit entlastet.
Nach der Dusche beschließen wir, dass wir noch etwas essen müssen. Das Hotel ist zu nett und edel um wieder auf dem Fensterbrett zu kochen und aller Voraussicht nach ist es unsere letzte Nacht in Polen. Also beschließen wir, noch einmal die polnische Küche auszuprobieren und werden nach der Empfehlung des Hotelchefs recht schnell in einer kleinen Straße fündig. Dort gibt es auch Speisekarten in anderen Sprachen als Polnisch, die Bedienung ist damit allerdings nicht kompatibel und so ist es auch hier wieder eine Erleichterung, dass Stephie die sprachliche Brücke bauen kann.
Außer uns sind in der "Kneipe" nur noch ein paar Mädels, die sich offensichtlich dem schleichenden Delirium bei nerviger Musik hinzugeben versuchen. Die Bedienung scheint über ihre Anwesenheit etwas gespaltener Meinung zu sein: Einerseits recht nett, andererseits mit gelegentlichem Augenrollen über ihr Verhalten.
Das Essen, wir probieren es unter anderem noch einmal mit Piroggen, ist dann lecker und füllt uns auch gut. Als wir aus der Kneipe zurück schlendern, merken wir, dass die Nacht wieder ordentlich frisch zu werden scheint. In der Luft liegt der Nebel von einigen Holz- und Kohleöfen. Ungefähr so hatte ich mir Polen vorgestellt.

Tag 13: Kamienna Góra - Olbersdorf

Herbst ist da...Der letzte Reisetag zeigt sich in netten FarbenDie Busladung ist am nächsten Morgen schon sehr zeitig auf den Beinen. Sie haben wohl große Pläne und so gibt es für sie schon sehr zeitig Frühstück. Wir lassen uns etwas mehr Zeit, essen nach ihnen in aller Ruhe und starten dann zu unserer letzten Radetappe.
Auf der Karte habe ich das Isergebirge gesichtet. Als ich noch bei Zittau wohnte, war dies mein Rad-Eldorado (ohne Bindestrich ist Radel-Dorado auch lustig) mit vielen kleinen Strecken und spannenden Abfahrten. Unseren Heimweg lege ich also auch über den Gebirgskamm, was zwar sicher ein paar Höhenmeter hinzufügt, aber andererseits auch noch tolle Aussichten und die rauschende Abfahrt ins Neißetal bei Liberec bereithält.
Davor fahren wir allerdings noch einige Kilometer hinterm Isergebirge entlang, wobei wir die Schneekoppe von Norden aus bewundern können. Zeitgleich wuseln um uns herum eine ganze Menge von Radfahrern: Offensichtlich läuft da gerade ein MTB-/Crossrad-Jedermannrennen und die Teilnehmer freuen sich durchaus auch über uns als Teilnehmer aus der Schwerlastfraktion. Mit einigen von den hinteren können wir auch für ein paar hundert Meter ganz gut mithalten. Nur als die Strecke leicht ansteigt, wird es mit dem Gepäck dann doch schwieriger.
Es wird touristischer hier. Alles sieht netter und einladender ein. Wir hatten ja durchaus auch vorher schon ein paar nette Landstriche dabei, aber diese waren dann eben doch nicht so attraktiv. Sind viele der Orte der letzten Tage nun weniger touristisch, weil sie so ungepflegt sind, oder sind sie so ungepflegt, weil so wenig Touristen her kommen? Ich weiß es nicht.
Schließlich verlassen wir die Wettkampfstrecke des MTB-Rennens und kurbeln weiter ins Tal eines Bergflusses, der nun neben der Straße herunterpletschert, die wir herauf nach Szklarska Poręba fahren. Dies wird der letzte einigermaßen große Ort unserer Reise in Polen sein. Danach schlängelt sich die Straße weiter empor. Das allerdings in einer angenehmen Steigung. Selbst der Verkehr ist hier relativ gering. Und so kommen wir Meter um Meter der Grenze zu Tschechien näher. Dort oben ziehen wir uns ein paar Klamotten mehr an, da wir wissen, dass es von nun an einige Kilometer wieder bergab gehen wird.
Genauso gemäßigt wie die Steigung herauf ist dann auch das Gefälle und wir rollen nicht übertrieben schnell daher. Mein Racertje drückt wie üblich flotter den Berg herab als Stephies Veloträumchen. Deswegen warte ich in Harrachov auf sie. Um nicht nur Kilometer zu schrubben, machen wir dort noch einmal kurz Pause, genießen die Sonne, rollen ein bisschen durch den Ort und an den Fuß der Skisprungschanze, die in Echt vor uns liegend schon erstaunlich hoch wirkt. Hut ab vor denen, die sich dort herunterstürzen...
Danach geht's weiter bergab bis zu einer leider in meiner Erinnerung nicht mehr existent gewesenen Rampe nach Korenov. Na gut, dort mühen wir uns noch einmal steil bergauf. Oben gibt es wieder ein bisschen Fernsicht, bevor es dann wirklich herunter nach Desna geht. Auf dieser Strecke überholt mich außerorts noch ein Polizeiauto, das innerorts dann leider die 50km/h recht genau einhält, weswegen ich langsam näher komme. Dann muss ich wohl doch mal bremsen...
Ab Tanvald geht es wieder für eine Weile bergauf, allerdings nicht mehr so steil. In meiner Erinnerung sind diese Strecken nur mit einem leicht bepackten Rad hängen geblieben. Stephie und ich haben (wie üblich) allerdings viel zu viel Krams dabei und sind auch nach einigen Kilometern in den letzten Tagen nicht mehr ganz frisch. Also schleppen sich diese Anstiege noch ziemlich dahin, während mir im Kopf herum geht, dass wir ja eigentlich fast am Ziel sind - so wie früher, wenn ich da entlanggehämmert bin.
Die Abfahrten entschädigen für die Anstiege und schließlich kommen wir in Liberec an, wo uns meine Ortskenntnis zur Hilfe kommt. So fahren wir recht direkt hindurch und stoßen schließlich auf den Neißeradweg, der leider auch nicht nur aus Abfahrten besteht. In Chrastava sehen wir die verheerenden Folgen des Augusthochwassers. Hier, wo die Jerice aus dem Isergebirge kommend in die Neiße mündet, hat es wohl sehr stark gewütet und man kann für die Menschen nur hoffen, dass sie wieder auf die Beine kommen. Ich bin betroffen, da ich in den vergangenen Jahren so oft durch diesen Ort gefahren bin und das gesamte Neißetal und sein Umfeld speziell dort immer wieder sehr schön fand.
Auf dem weiteren Verlauf der Strecke sind an vielen Stellen noch die Auswirkungen des Hochwassers zu sehen: Die Neiße ist heute oftmals breiter als ich sie noch kenne, die Neißeradroute ist aber glücklicherweise gut zu befahren, so dass wir nach immerhin schon wieder fast 100km gut und ohne Probleme vorankommen. Nach noch einigen Wellen, über die die Straße entlang der Neiße führt, gelangen wir schließlich nach Hradek nad Nisou, unserer letzten Stadt in Tschechien.
Von dort aus gibt es zwei Möglichkeiten, zu unserem Reiseziel zu gelangen. Die direkte Möglichkeit führt über den touristischen Grenzübergang in Hartau und von da über Eichgraben zu unserem Ziel. Allerdings müssten wir dann noch über einen Hügel, der nach gut 100km wohl doch recht anstrengend sein könnte. So nehmen wir also die Alternativroute, die uns noch einmal für knapp 2km durch Polen an der Stadt Porajów vorbei führt. So gelangen wir zum Grenzübergang Friedensstraße in Zittau. Wir wählen die ruhige Strecke am Flüsschen Mandau entlang zur Olbersdorfer Dorfstraße hin. Diese fahren wir noch ein paar Kilometer gen Süden und kommen schließlich bei meinen Eltern an, wo unsere Radreise zu Ende ist.

Fazit

Für Stephie und mich war es die erste gemeinsame, längere Radreise. Unsere bisherigen Mehrtagestouren fanden bislang nur in den Niederlanden statt. Das war natürlich anders: In den Niederlanden hat man nie mit Hügeln zu kämpfen. Zwar machen uns beiden prinzipiell Hügel nicht so viel aus, allerdings ergeben sich durch die verschiedene Dynamik eines Aufrechtrades gegenüber einem Liegerad Unterschiede in diesem Terrain. Nicht zuletzt durch meine auch eher sportlich orientierte Fahrweise, die darauf setzt, den nächsten Hügel mit dem Schwung des vorherigen "herauf zu drücken" (was meiner Meinung nach mit einem Liegerad wesentlich besser geht), wird es dann mitunter schon schwierig, die Durchschnittsgeschwindigkeit bestmöglich zu synchronisieren.
Abgesehen davon bleiben für uns aber viele schöne Erinnerungen an diese Reise. Die Mühen von Gegenwind und zu langen Strecken sind inzwischen verdrängt und die Eindrücke bleiben. Trotzdem sollten wir sie nicht komplett verdrängen, damit wir beim nächsten Mal die Strecken etwas weniger ambitioniert planen. In die Hügel darf es gerne wieder gehen. Bei nicht festgelegten Zielen dürfte auch ich etwas entspannter sein. Auch wollen wir schauen, dass wir doch ein bisschen mehr in die Hauptreisezeit rücken mit unserem Urlaub. Auch wenn ich eher auf niedrigere Temperaturen stehe, ist es doch angenehmer, wenn man abends noch ohne Handschuhe vorm Zelt sitzen kann.


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