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Tag 7: Nivnice - Veřovice

Aufbruch vom LiegeradtreffenDahinsausen über ruhige StraßenSchließlich ist das Liegerad-Wochenende aber vorbei, alle packen ihren Krams zusammen, so auch wir. Wir verabschieden uns von meinen Eltern und Arne, die ungefähr zeitgleich mit uns abfahren. Während sie gen Nordwesten fahren, geht es für uns weiter gen Nordosten. Ab heute steht die Fahrt nach Kraków auf dem Programm. Nun befahre auch ich Neuland, denn so weit östlich hat es mich in Mitteleuropa mit dem Rad auch noch nicht verschlagen. Ein bisschen habe ich Bedenken vorm Radfahren in Polen. Ich kenne das südwestliche Randpolen recht gut, weil es vor meinem Umzug nach Köln ja quasi vor meiner Haustür lag. Horrorvorstellungen von schlechten Straßen, wilden Autofahrern und nicht super zugänglichen Leuten spuken in meinem Kopf herum. Stephie hingegen schwärmt von Krakau und ich kann mir nicht vorstellen, dass sie genau auf die genannten Merkmale steht. Polen ist ein großes Land, das sicher auch viele Unterschiede hat. Also kann es wohl nicht so schlimm sein.
Optimistisch haben wir uns zwei Tage dafür ausgerechnet, laut Google Maps sind es für Fußgänger ja auch "nur" 250km... Am ersten Tag fahren wir durch echt wunderschöne Landschaften. Hügelig und auch wieder mit wärmendem Sonnenschein. Der September ist bei schlechtem Wetter und bei Nacht schon ordentlich kühl. Vor Zlin werden die Hügel höher, wir kriechen langsam empor, bevor wir mit einer zügigen Schussfahrt in die Stadt hineinrollen.
Zlin als Etappenort ist am Sonntag verhältnismäßig ruhig, wenngleich von der Größe und des Erscheinungsbildes der Straßen her für mich eine Reminiszenz an osteuropäische Städte, wie ich mir sie so vorstelle. Aber wir kommen gut hindurch. Kurz vor dem Herausfahren machen wir eine Esspause, lassen das Sonntagsleben der Stadt an uns vorüberziehen, bevor wir dann weiterfahren. Wir wollen die anstehenden Hügel möglichst westlich umfahren, um nicht komplett zu Bergziegen zu mutieren. Das gelingt uns recht gut, verlängert unsere Strecke allerdings auch. Ein paar nervige Abschnitte sind ebenfalls wieder dabei, zumal wir (wieder einmal) Gegenwind haben. Damit kommen wir auch wieder nicht so voran, wie wir uns das ausgerechnet und erhofft hatten. Stephie wird wieder mehr ausgebremst als ich auf dem Liegerad, das geht an die Substanz, physisch wie psychisch. Am späten Nachmittag steigen wir immer mehr in die Beskiden ein. Landschaftlich zumindest ein guter Ausgleich für die Strapazen, die aber dennoch bleiben. Zu allem Überfluss sind sämtliche Campingplätze, die wir uns vorher mal rausgesucht hatten, nicht zu finden. Vielleicht sind sie bereits geschlossen, schlecht ausgeschildert oder schlicht nicht mehr existent. Als wir uns aufgeteilt haben, um den Ort Veřovice genauer abzusuchen, frage ich schließlich eine Frau, die in der eintretenden Abenddämmerung die Dorfstraße entlang läuft. Sie kann ungefähr so viel Deutsch oder Englisch, wie ich Tschechisch kann, aber es gelingt mir, sie nach einem Campingplatz zu fragen. Sie weist auf einen, der 7km entfernt sein soll. Im aktuellen Ort hingegen, soll es keinen geben. Ich fahre zurück zu Stephie, um ihr diese Nachricht zu überbringen. Stephie fühlt keinen Bedarf nach weiteren 7km, wir überlegen, was wir tun. Zufälligerweise geschieht all dies vor dem Grundstück, in das die Dame entschwunden ist, die ich gerade noch befragt hatte. Sie bemerkt unsere Diskussion und holt ihren Mann dazu, der uns fragt, ob wir eine "ubytování" suchen. Nach kurzem Überlegen, was das doch gleich war, sind wir uns einig, dass das "Unterkunft" bedeutet, und bestätigen seine Frage. Wir sollten warten, er begleite uns, 1km. Soso, unsere Spannung steigt. Er holt sein Moped und auf geht's die Straße herauf. Wir biegen rechts in einen kleinen Weg ab, es wird steiler. Den Kilometer haben wir inzwischen locker geknackt. Wir kommen an einer Art Hotel vorbei, mustern es, aber das meint er wohl nicht. Wir fahren weiter. Dann hält er an, steigt vom Moped, verschwindet im Busch. Wir rätseln, ob es sein kann, dass er gerade jetzt, als er uns zur Unterkunft begleiten möchte, mal muss. Ein paar Sekunden später geht die Straßenbeleuchtung rechts an einem unscheinbaren Weg an, er kommt aus dem Busch zurück, steigt auf, winkt uns zu und weiter geht's auf genau diesem Weg den Hügel empor. Es wird noch steiler, der Weg ist teils ein wenig lose, ich fahre flott hinter ihm her, um mit dem Vorderradantrieb nicht zu viel Schwung zu verlieren. Stephie fällt etwas ab, aber ewig weit kann es ja nicht mehr sein. Er macht das Moped aus, von nun an gibt es nur noch das Rauschen des Waldes neben dem Skiheim, dessen Herbergsvater der Mann ist, und vor dem wir nun stehen.
Er lädt uns ein, wir sollten die Räder einfach in den Vorraum unten stellen, zeigt uns Duschen und Toiletten, bevor er uns auf einen Tee in die zugehörige Gaststube bittet. Wir unterhalten uns mit Tschechisch, Polnisch, ein paar Brocken Russisch, was zugegebenermaßen die Menge der Themen etwas beschränkt, aber interessant war es für beide Seiten. Dann zeigt er uns die Skihütten, in denen es warm und trocken ist und angenehme Betten stehen. Ein bisschen Geld will er schon dafür sehen, aber angesichts der Unterkunft ist das vollkommen in Ordnung. Den Schlüssel sollten wir am nächsten Morgen einfach unter die Fußabstreicher legen. Es ist ein schönes Gefühl, wenn man als Radreisende so viel Vertrauen und Gastfreundschaft entgegengebracht bekommt. Von uns hat er keinerlei Namen oder Adressen. Wir kochen uns noch unsere Nudeln, bevor wir müde, aber doch ganz zufrieden ins Bett fallen.

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